Ein Arbeitsplatz direkt am Meer. Eine herrliche Vorstellung, oder? Mialinirina, genannt Mialy, Erica und Jean haben das große Los gezogen. Ob sie in der Jugendherberge Dahme Dienst in der Küche haben, die Gästezimmer herrichten oder den lichtdurchfluteten Speisesaal nach dem Essen der Herbergsgäste wieder aufräumen: Die Ostsee ist immer direkt nebenan. Zwischen der Steilküste am Rand der Lübecker Bucht bis zu ihren Herkunftsländern liegen jedoch viele Tausend Kilometer.
Nun sind sie hier. Erica, gebürtig von den Philippinen, und Mialy aus Madagaskar sind im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes (BFD), als sogenannte Bufdis, für jeweils ein Jahr an Bord der Jugendherberge gegangen. Sie sind Teil des internationalen Teams unter der Regie der Jugendherbergseltern Tina und Patrick Schmid. „Ich mag diesen Ort“, sagt Mialy, „der Strand liegt vor unserer Tür. Es fehlen nur die Palmen und Kokosnüsse.“ Der in Brasilien geborene Jean gehört seit zwei Jahren zur Herbergsfamilie und ist als Allrounder unverzichtbar geworden
In der großen Küche des modernen, rund gebauten Herbergsgebäudes glänzt das Edelstahl-Interieur. Durch die Fenster schaut man über den im Wind wehenden Strandhafer hinweg auf die glitzernde Ostsee. In der Mitte befindet sich die Kochinsel, an der die drei ihr Menü für die Hierleben-Kochrunde zubereiten. Mialy, Erica und Jean wirken wie ein eingespieltes Team, jeder Handgriff sitzt. Kein Wunder, sie alle kochen schon seit Kindertagen – vor allem für ihre Geschwister und die Großeltern, während ihre Eltern arbeiteten.
Jean hat sich für das brasilianische Nationalgericht Feijoada entschieden, einen Eintopf aus schwarzen Bohnen und Fleisch. In weiser Voraussicht hat er die Bohnen bereits am Vortag eingeweicht. Während sie im großen Topf simmern, würfelt er mit einem scharfen Messer Bauchspeck und Schweinebauch und schneidet die Wurst in Scheiben. Ganz schön viel Fleisch! „Ja“, sagt Jean, „in meiner Heimat essen wir viel Fleisch, aber auch Fisch, und täglich Reis und Nudeln. In eine traditionelle Feijoada gehören alle Teile eines Tieres hinein: Fleisch, Speck, aber auch die Ohren und Pfoten“, erklärt er. Ein Nose-to-TailGericht also, das in Brasilien bei Festen und Grillpartys serviert wird, diesmal aber als deftige Vorspeise seinen Auftritt hat. Erica, ganz Profi, hat alle Zutaten für ihr Chicken Adobo, also mariniertes Hühnchen nach philippinischer Art, abgewogen und in kleinen Schälchen griffbereit neben sich auf die Arbeitsplatte gestellt. Zwiebeln und Knoblauch schmoren schon in der großen, flachen Pfanne. Schnell kommen die kleinen Hähnchenunterschenkel mit hinein, und sobald sie gebräunt sind, fügt Erica Soja- und Austernsoße sowie Gewürze hinzu. Da beginnt es, in der Pfanne zu brodeln, und ein verheißungsvoller Duft erfüllt die Küche. Kurze Zeit später folgt der GeschmacksClou: Essig. „Sobald ihr den zugebt, dürft ihr die Soße nicht mehr umrühren, sonst wird sie sauer“, verrät Erica, während sie dem köstlich braunen Sud Zeit zur Reduktion gibt.
Wäre von der Arbeitsfläche am Fenster nicht leise Radiomusik im Hintergrund zu hören, könnte man meinen, Mialy sei die lange Holztreppe, die von der Jugendherberge die Steilküste hinunter an den Strand führt, herabgestiegen und würde ein wenig Meeresluft schnuppern – so unauffällig bereitet sie ihren Voankazo Salady vor. Kein Brutzeln, kein Blubbern, ihre Messerschnitte beim Schälen der Äpfel und Papayas sind kaum hörbar. Auch den Kern der Mango löst sie mit geübten Griffen heraus, würfelt das Obst im Rhythmus der Musik und richtet ihren fruchtigen Salat mit Joghurt, Rosinen und Minze an. Als das Menü, das um den halben Erdball führt, auf dem Tisch steht, gesellen sich andere aus dem Team der Jugendherberge dazu. Welcher Gang wohl der beste ist? Das vermag hier niemand vorherzusagen. Aber der kleine Sohn von Herbergsmutter Tina Schmid riecht das Chicken Adobo schon von Weitem und sitzt wie so oft als Erster am Tisch.
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