Hommage an die Heimat
Dieser Kochabend ist eine Reise der Erinnerung. Julia, Christina und Nataliia plaudern über die Küchenkultur ihrer Länder, über die Kochkünste von Oma, Mama und Papa, über Gerüche und Geschmack aus der Kindheit. Den Herd lassen sie dabei nicht kalt werden.
Foto(s): Frederik Röh
Julia Anželika Asmus
Mit ihren Landsleuten teilt Julia die Begeisterung für Geselligkeit und Gastfreundschaft. Die Litauerin, seit 1995 in Hannover, ist stets gut gelaunt, obwohl sie als leitende Pflegekraft mit viel Leid, Schmerz und Not konfrontiert ist. Ausgleich vom anstrengenden Job findet die Mutter eines erwachsenen Sohnes in ihrer Küche. Mit wahrer Leidenschaft pökelt, räuchert, fermentiert, kocht und backt sie. Dabei gehen ihre Experimente weit über die Küche Litauens hinaus. Lieblingsessen? So oft wie möglich Pasta oder Carpaccio mit Trüffeln.
Christina Blask
2018 hat sich Christina als Personaldienstleisterin in der Pflege selbstständig gemacht. Ihre Firma betreut bereits über 100 Mitarbeiter, die aus aller Herren Länder kommen. Vorbild? „Meine Eltern!“, sagt sie. „Mein griechischer Papa kam als Gastarbeiter und schaffte es mit viel Fleiß, mehrere Restaurants in Hannover zu betreiben.“ Ihre Mutter lernte bei der griechischen Verwandtschaft das Kochen. So ist Christina quasi in der Küche aufgewachsen und weiß genau, dass die hellenische Küche jede Menge Vielfalt zu bieten hat.
Nataliia Nizhegorodtseva
Tschernihiw, die Stadt in der Ukraine, in der Nataliia aufwuchs, ist zu 70 Prozent zerstört. Gottseidank sind ihre Eltern und Brüder in Sicherheit. Im September letzten Jahres konnte sie noch einmal die Heimat besuchen. Die junge Frau will trotz des schrecklichen Krieges ihren Optimismus nicht verlieren. Sie hat in Hannover studiert und als Datenmanagerin einen tollen Job an der Medizinischen Hochschule bekommen. Erlaubt es ihre Zeit, spielt sie Klavier, trifft sich mit ihren Freunden, kocht und backt gern und erfreut sich an ihrer schönen Wohnung sowie an Kater Karl.

Ihre braunen Augen blitzen, als Julia den Inhalt der schweren Taschen in Nataliias Wohnung auspackt. Schon bei der Begrüßung versprüht sie so viel positive Energie, dass alle gleich freudig gestimmt sind. Kühler Champagner kommt in die Gläser, und es wird ein Toast auf einen fröhlichen Abend ausgesprochen. Julia kennt Christina und Nataliia, aber Christina trifft Nataliia zum ersten Mal. Kein Problem, denn mit Nataliias herzlicher Begrüßung verfliegt die anfängliche Fremdheit im Nu. Zuerst müssen alle von Julias mitgebrachten Köstlichkeiten probieren. „Unser Auftakt für den heutigen Abend“, sagt sie und breitet selbst geräucherten Schinken, Hühnchen und Kümmelbrot aus. „Zu Hause habe ich Berge von Kümmel. „Ich bin bestimmt in Hannover die Frau, die am meisten Kümmel hat.“ Ihre beiden Mitstreiterinnen kennen Julia als leidenschaftliche Köchin. Schon oft sind sie in den Genuss ihrer Experimentierfreude gekommen, durften von eingelegtem Gemüse und schmackhaftem Fleisch probieren. „Nur mit dem Backen und mit Desserts habe ich wenig am Hut“, bekennt Julia. Umso mehr ist sie gespannt auf Nataliias Honigtorte. Dieser Torte ist der Ruf als große Köstlichkeit schon vorausgeeilt. „Das Rezept ist von meiner Oma Nadia“, erzählt die 34-Jährige. „Wie schön, dass Oma Nadia so mit uns weiterlebt.“ Plötzlich ein Maunzen. Eine wunderschöne hellgraue Katze macht sich an der Küchentür bemerkbar. „Darf ich vorstellen“, sagt Nataliia, „das ist Kater Karl, ein Britisch Kurzhaar.“ Die feine englische Hauskatze hat sie aus der Ukraine geholt. „Karl ist für mich ein Lebewesen aus der Heimat. Er wundert sich bestimmt, was heute hier los ist.“

Endlich soll es an den Kochstart gehen. Julia raspelt Rote Bete und erzählt, dass sie damals, noch in ihrer Heimatstadt Vilnius, schon einmal eine Rote-Bete-Suppe gemacht hat, mit Nudeln statt Kartoffeln als Zugabe. Über diese Jugendsünde muss sie herzlich lachen. Erst in Deutschland entwickelte sie ihre Kochpassion und fand auch an Jakobsmuscheln, Trüffel und anderen exquisiten Lebensmitteln Gefallen. Bodenständige Zutaten stehen bei Christina im Mittelpunkt: Sie knetet das Hackfleisch mit Ei und Paniermehl, das sie lieber benutzt als Toastbrot, weil es sich besser dosieren lässt. Sie würzt das Fleisch mit den Kräutern und fühlt sich in ihre Kindheit zurückversetzt, als der intensive Duft nach Thymian, Majoran, Anis und Co. täglich durch die Restaurantküche ihrer Eltern wehte. Sie bewundert ihre Mutter, eine gebürtige Hannoveranerin, noch heute dafür, dass sie zwei Jahre lang bei der Schwiegermutter Kochunterricht in Griechenland nahm.
Inzwischen hat Nataliia ihren Teig geknetet und rollt die erste Platte aus. Acht bis zehn Tortenplatten müssen gebacken werden. Mithilfe von Teller und Messer zieht sie um den Teig einen Kreis. Die Reste werden für die Krümel, mit denen später die Torte umhüllt wird, gebraucht. Da der Teig dünn ist, geht das Backen ruckzuck. Christina drückt die Hackmischung mit dem Handballen auf die Folie. Als Füllung hat sie Fetakäse gewählt. „Genauso gut kann man aber auch Peperoni oder getrocknete Tomaten nehmen“, erklärt sie. Julias Suppe ist bereits fertig, der Topf mit den Kartoffeln ist zum Warmhalten in Nataliias Bett gestellt. Christina hat noch fix einen griechischen Bauernsalat aus Gurke, Paprika, Tomaten, roten Zwiebeln und Feta mit einem einfachen Dressing zubereitet. „Das schmeckt immer.“ Die Hacktaschen brutzeln in der Pfanne, nebenbei wird die Metaxa-Soße gerührt, damit sie nicht anbrennt. Falls die griechische Variante eines Weinbrands nicht zur Hand ist, kann man auch andere Sorten nehmen.
„Voilà!“, ruft Nataliia und holt eine fertige Honigtorte aus dem Kühlschrank. Sie hat sie schon am Vorabend gebacken, weil die Creme zwischen den Schichten durchziehen muss. Allen läuft das Wasser im Mund zusammen. Der Tisch ist gedeckt, die Speisen sind aufgetragen. Wie appetitlich alles aussieht! „Geras apetitas, Kalí órexi, Khoroshyy apetyt“: In den drei Landessprachen wird „Guten Appetit“ gewünscht. „Hier wurde heute mit dem Herzen gekocht“. Mit Julias Trinkspruch ist alles gesagt.
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