Traditionen auf der Spur
Drei Frauen aus Osteuropa, klassische Gerichte und viel gute Laune: Für diese internationale Kochrunde in einer Küche in der Nähe von Schleswig haben sich Aga, Saida und Irena mit den Kochtraditionen ihrer jeweiligen Heimat beschäftigt. Das Ergebnis: spannende kulinarische Entdeckungen!
Foto(s): Henrik Matzen
Irena Chmut
Dass Irena aus Lwiw zwei Enkelkinder hat, ist kaum zu glauben – schließlich ist sie gerade 42 Jahre alt! Sie lebt seit 2022 in Schleswig-Holstein und arbeitet in einer Senioreneinrichtung. „Ich mag die Arbeit sehr, ich helfe gern anderen Menschen“, sagt sie. Ihren eigentlichen Job bei der Bahn in der Ukraine musste sie aufgeben, aber ihre Leidenschaft nicht: Sie liebt es, Frisuren zu stylen, und teilt gern ihr Wissen über den Trend HaarBotox, eine Intensivpflege für strapaziertes Haar. Wann immer es geht, lernt sie Deutsch. „Das ist meine Freizeit“, sagt sie.
Saida Suleymanova
Saida arbeitet wie Irena als Pflegehilfe, die beiden sind Kolleginnen und befreundet. Weil ihr Vorname in Deutschland oft falsch ausgesprochen wird, nutzt sie gern ihren Spitznamen Lena. Die 45-Jährige aus Aserbaidschan wollte Lehrerin werden und hat in Baku studiert, ist aber 2009 mit ihrem Mann, zwei Töchtern und einem Sohn in die Nähe von Schleswig gezogen. Ein echter Neuanfang, den Saida mit Gelassenheit, Herz und Verstand wunderbar gemeistert hat. Gemeinsam zu kochen, ist genau ihr Ding: „Ich liebe es, Einblicke in fremde Kulturen zu bekommen.“
Agnieszka Schönemann
Bei der Polin Agnieszka – oder einfach Aga – geht es zu Hause richtig international zu, denn ihr Ehemann stammt aus Syrien. Mit zwei so unterschiedlichen Kulturen war es trotz der großen Liebe nicht leicht. „Wir mussten einen Weg finden, und das ist uns gelungen“, sagt die 34-jährige Mutter von zwei kleinen Kindern, die als Lehrerin und Coach an einer berufsbildenden Schule arbeitet. Da sie als Schulkind selbst erst Deutsch lernen musste, bringt sie viel Verständnis für Neuankömmlinge mit, dazu fröhliche Ausstrahlung und Warmherzigkeit – passt also!

Irena ist etwas nervös. Sie ist noch nicht lange in Deutschland und fürchtet, dass sie beim gemeinsamen Kochen nicht alles versteht. Die Sorge ist unbegründet. Saida, die eine russische Großmutter hatte, übersetzt mühelos ins Deutsche. Außerdem kann Irena Polnisch verstehen, sodass auch Aga und sie sich unkompliziert austauschen können.

Das geht gleich damit los, dass Aga für den Brandteig für ihren Puddingkuchen erst noch den Herd braucht, bevor sie Irena Platz für deren Suppe macht. In der Zwischenzeit pellt Irena die Zwiebel und schneidet den Lachs in Würfel. „Man kann auch anderen frischen Fisch nehmen“, sagt sie. „In der Ukraine wird die Suppe oft draußen über dem offenen Feuer gekocht, in einem großen Topf.“ Saida, die eine leidenschaftliche Hobbyköchin ist und von der Frische und dem Aroma der Früchte ihrer Heimat Aserbaidschan schwärmt, hat zusätzlich zu den Zutaten für ihr Gericht – gefüllte Weinblätter – leckeren Auberginensalat mitgebracht. „Zum Naschen. Mit viel Knoblauch. Bitte, bedient euch!“ Vor dem Treffen hat sie sich ausführlich mit der Herkunft ihres Gerichts beschäftigt. „Dolma – das heißt gefüllt“, erklärt sie. Das Gericht, das aus der aserbaidschanischen Küche nicht wegzudenken ist, steht auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes und gehört in vielen Varianten zu allen Familienfesten und Feiern. Gefüllte Weinblätter seien zwar auch typisch für die mediterrane Küche, weiß Saida: „Aber dort sind sie länglich und mit Reis gefüllt. Bei uns kommt Hackfleisch hinein, in der Regel halb Rind, halb Lamm. Und gerollt wird so, dass eine kleine runde Form entsteht.“ Die Fleischmasse mit frischen Kräutern und Reis hat sie schnell verknetet. „Ich nehme Milchreis. Die runden Körner stechen nämlich nicht durch die dünnen Weinblätter.“ Nun kommt sie zum anspruchsvollen Teil: Auf jedes Blatt kommt ein Klecks Fleischmasse, dann schlägt Saida die Seiten ein und rollt alles geschickt zusammen. Auch Irena und Aga versuchen sich daran. Zum Glück ist es leichter, als es zunächst aussieht.
„Noch besser und günstiger wird es, wenn man im Frühjahr frische junge Weinblätter pflückt“, sagt Saida. Sie erzählt eine Anekdote aus der Zeit, als sie gerade neu in Deutschland war. „Ich habe bei einer Nachbarin gefragt, ob ich mir ein paar Weinblätter von ihrer Hauswand nehmen darf. Sie war erst sehr verwundert.“ Saida lacht: „Sie dachte, bei uns in Aserbaidschan würden wir Blätter direkt vom Zweig essen.“
Auch Aga hat vor dem Treffen gründlich zur polnischen Küche recherchiert und sich für die Zubereitung von Karpatka entschieden. Der Name erinnert an das Hochgebirge Karpaten – weil die Oberfläche beim Backen wellig wird. „Als Kind habe ich diesen Kuchen geliebt“, erinnert sich Aga. „Meine Mutter hat ihn damals häufig gebacken, aber irgendwann nicht mehr. Ich hatte den Geschmack fast vergessen!“ Beim Probebacken am Vortag hat sie ihren syrischen Mann und ihre Kinder damit beglückt. „Ich bin echt froh, dass ihr mich mit der Einladung zur Kochrunde daran erinnert habt!“ Aga erzählt auch von ihren Schwiegereltern, die in Aleppo leben und ihre beiden Söhne seit acht Jahren nicht gesehen haben. Kurz werden die Frauen nachdenklich, alle haben Familie oder Bekannte in Krisenregionen – auch Saida, die aus der Region Karabach stammt. „Wir dürfen nicht vergessen, wie gut wir es haben, warm und vor allem sicher“, meint Aga.
Nachdem sie die erste Teighälfte auf ein Blech gestrichen hat, hat sie Zeit, bei Irena in den Topf zu schauen. Die schöpft gerade das aufsteigende Fett von der Oberfläche. „So bleibt die Suppe klar“, erklärt sie. Saida hat inzwischen alle Weinblätter aufgerollt. Sie legt sie säuberlich in einen Topf und drückt einen Deckel direkt auf die Röllchen. Überraschung! Jetzt zaubert sie eine Schale mit fertigen Dolma hervor. „Das Garen würde zu lange dauern. Deswegen habe ich gestern schon eine Portion vorbereitet.“
Aga hat auch das zweite Blech fertig, füllt die Puddingcreme zwischen die Teiglagen und stäubt Puderzucker auf ihr Backwerk. Gleich geht’s ans Essen, Genießen und Plaudern. Aber vorher tauschen die drei Frauen noch schnell ihre Handynummern aus, um sich gegenseitig fröhliche Selfies zu schicken.
Rezepte