Gin ist in

Queen Mum wusste, was sie tat. Ihr täglicher Gin Tonic hat ihr ein langes Leben beschert. So wie Tee hilft auch Gin, dunkle Tage zu erhellen und kleine Unpässlichkeiten in Nichts aufzulösen – sagen die Gin-Anhänger.

Foto(s): Frederik Röh

Und von diesen gibt es immer mehr, denn seit einigen Jahren ist Gin wieder in. Auch in Hannover. Kommen Sie mal mit aufs Dach“, sagt Joerma Biernath. Er ist der Mann, der im Jahr 2015 die erste Gin-Destille Hannovers angeheizt hat. Jetzt bittet er, über eine steile Leiter in sein grünes Paradies aufzusteigen, den Dachgarten, in dem die Zutaten für seine Ginsorte „Rooftop Garden“ wachsen. In originellen Pflanzkübeln, am Leben erhalten durch ein raffiniertes Bewässerungssystem, wachsen hier Bäume, Sträucher, Blumen und Kräuter, ja, sogar Maulbeerbäume. Was genau von diesen pflanzlichen Zutaten, im Fachjargon „Botanicals“ genannt, in die Flasche kommt, will Joerma Biernath natürlich nicht verraten. Die Rezepte seiner Gins sind geheim, schließlich war es viel Arbeit, sie zu entwickeln.

Gin-Geschichte

Gin ist ein Abkömmling des niederländischen Genever, ein Wacholderschnaps, der dort schon vor 500 Jahren gern getrunken wurde. Britische Soldaten brachten ihn im 17. Jahrhundert auf die Insel, wo seine Herstellung mit dem Gin-Act 1791 reglementiert und seine Aromen seitdem immer mehr verfeinert wurden. „Hannover Gin“, die Gin-Marke von Joerma Biernath, verbindet ein Stück englische Lebensart mit dem „Spirit of Niedersachsen“, so der Untertitel auf den Etiketten, denn, so Joerma Biernath: „Ich bin bekennender Niedersachse.“ Zu Hause ist die Destille in Hannovers Nordstadt am Weidendamm. Ehemals ein raues Industrieviertel, direkt neben dem Güterbahnhof, ist hier in den letzten Jahren ein junges, aufregendes Szenequartier entstanden, mit Ateliers und Bühnen, Clubs und Agenturen, Studenten und Künstlern in bunter Nachbarschaft zu Moscheen und Migranten.

Der Gin-Macher

In einer ehemaligen Wäscherei hat Joerma Biernath seine großen Kupferkessel aufgestellt und hütet dort unzählige Gläser und Flaschen mit seinen botanischen Schätzen aus aller Welt: Beeren und Samen, Blätter, Kräuter, Wurzeln, Rinden und Früchte – alles, was zum Ginaroma beiträgt. Gesammelt hat er tatsächlich vieles rund um den Globus: Joerma Biernath ist weit gereist. Der Hannoveraner, Sohn eines Gärtners, ist Landschaftsgärtner mit englischem Diplom in Gartendesign und einem großen Wissen über Pflanzen, das er ständig erweitert und auch weitergeben möchte. In einer Brennerei in Nordengland hat Joerma Biernath ein paar Jahre Station gemacht und sich dort sein profundes Fachwissen über die Ginherstellung angeeignet.

Die Mischung macht‘s

Zum Grundrezept für seinen Gin gehören Wacholderbeeren, roter und weißer Pfeffer und Angelikawurzeln. „Wacholder allein schmeckt sehr herb. Wir verarbeiten, und das ist europaweit einmalig, Cornus mas, die Kornelkirsche, im Gin. Die kombinieren wir mit Vanille, sonst schmeckt es leicht zu medizinisch.“ Jedes Rezept wird entwickelt wie ein Parfüm, nein, komponiert wie ein Musikstück. Immer wieder probieren und schmecken, das Aroma einatmen und über die Zunge rollen lassen. Man braucht gute Geschmacksnerven und auch Mut, heißt es. „Ich gestalte Blumengärten in den Gin hinein. Landschaften, die man trinken kann“, sagt Joerma Biernath. Nach dem Brennen muss der Alkohol ganz lange ruhen. Die fertigen Produkte werden in hübsche Flaschen gefüllt. Die kleinen Flaschen haben eine Vertiefung im Boden und lassen sich so ganz einfach stapeln. „Das sind unsere Sammel- und Botschafterflaschen, auch bestens geeignet als Souvenir oder Geschenk.“ Auch das Logo ist ein Hingucker: „Jede Linie symbolisiert einen Landschaftstyp Niedersachsens sowie die vier Jahreszeiten und die Früchte der Natur. Alles zusammen bildet einen Horizont, durch den unser Pferdchen galoppiert.“

Wertvolle Momente

Mittlerweile hat Joerma Biernath mehrere Ginsorten und einen Wodka entwickelt. Die Pflanzen dafür sammelt er auch in Hannovers grünen Ecken. So hat er im Stadtwald Eilenriede kleine geheime Plantagen angelegt, wo er zum Beispiel Ingwerwurzeln erntet. „Wir wollen das City-Farming vorantreiben und Brachflächen nutzen, um Kräuter anzubauen, und gleichzeitig tolle Orte schaffen, wo Menschen sich gern aufhalten.“ Einige der Zutaten der Ginsorte Rooftop Garden, dem Herzstück, mit dem alles begonnen hat, wachsen auf dem Dach. Dabei geht es Joerma Biernath auch um Lebensgefühl. Wer auf dem Dach sitzt, hat den Himmel und die Sterne über sich, kann in die Ferne gucken sowie die Beine und die Seele baumeln lassen. „Die Philosophie unseres Hauses besteht aus drei Säulen: Wir wollen aus Einfachem Wertvolles schaffen, wir wollen Menschen zusammenbringen, die sich im normalen Leben vielleicht nie begegnet wären, und wir wollen wertvolle Momente stiften.“ Das wäre das Signal, um gemeinsam das Glas zu erheben. Oder, wie die Briten sagen: „It´s Gin o’clock.“