Zwei plus eins im Pastorat

Ein dänisch-französisches Ehepaar kocht gemeinsam mit einer Künstlerin aus Estland: Die diesmalige Hierleben-Kochrunde zaubert nicht nur ein einfaches Menu, sondern begibt sich auch auf Spurensuche in die Geschichte der Länder.

Foto(s): Henrik Matzen
Niels Henrik Olesen
Eigentlich könnte sich Niels Henrik als Rentner zur Ruhe setzen – zum Beispiel in seiner Heimatstadt Kopenhagen. Er arbeitet aber so gern, dass er immer noch als Pastor der dänischen Gemeinde in Schleswig aktiv ist. Ihn fasziniert die Geschichte ebenso wie Wissenschaft, Musik und Sprachen, weshalb er inzwischen regelmäßig Plattdeutsch-Runden besucht. Viel Zeit zum Kochen bleibt da nicht, aber ein Besuch auf dem Wochenmarkt mit seiner Frau gehört von Zeit zu Zeit dazu. Die Sprache der Einkaufsliste? „Mal dänisch, mal deutsch, mal französisch.“
Marie-Ghislaine Olesen
Die Französin ist ein echtes Sprachtalent. Gebürtig aus Bordeaux, studierte sie in Paris und Kopenhagen Kunstgeschichte, forschte in Tunis – und traf dort ihren späteren Mann Niels Henrik Olesen. Schon als Mädchen war sie Austauschschülerin in Deutschland. Viele Jahre verbrachte sie mit Niels Henrik und den Kindern in Dänemark. „Da habe ich mich nur Marie genannt, das war in der däni- schen Sprache einfacher“, sagt sie. Statt in Töpfe steckt sie ihre Nase bis heute lieber in Bücher, aber was schnell zu kochen ist, hat gute Chancen. Wenige Zu- taten, einfache Gerichte – das ist für sie französische Küche.
Ingrid Rästa-Thomsen
Sie kam aus dem Skiort Otepää in Süd-Estland zum Kunststudium nach Deutschland und hat hier erstens die Liebe zu ihrem Mann und zweitens zum Werkstoff Filz entdeckt. Auf dem Bauernhof in Oeversee bei Flensburg sind nicht nur die vierköpfige Familie und viele Milchkühe zu Hause, sondern auch bunte Garne, herrlich weiche Wolle – und die unerschöpfliche Kreativität von Ingrid, die Kleider, Hüte und Accessoires in leuchtenden Farben fertigt. Zweimal im Jahr besucht sie ihre Heimat und bringt dann estnische Spezialitäten mit: „Meine Freundinnen lieben die Kuchen und Torten.“

Die Küche im Pastorat ist gemütlich – und vor allem so groß, dass sich die Runde komfortabel einrichten kann. Wie praktisch, dass zwei der drei sich hier bestens auskennen.

Ingrid fühlt sich als Gast bei den freundlichen Olesens sofort wohl. Sie nimmt am Tisch Platz, um die Äpfel zu zerkleinern, dazu zuckert sie noch ein paar Erdbeeren. Bei ihrem Nachtisch geht es zunächst nur um die Vorarbeiten, zubereitet wird er erst kurz vor dem Essen. So hat die Estin Zeit, Niels Henrik Gesellschaft zu leisten.

Während der Pastor Salat in feine Streifen schneidet, kommen die beiden schnell ins Plaudern und erzählen, was sie verbindet: die Legende um die Entstehung des Danebrog etwa. „Wir verdanken unsere Flagge den Esten“, sagt Niels Henrik und berichtet von einer Schlacht 1219 in Lyndaniz. „Die Dänen hatten den Kampf fast verloren, da fiel die rote Fahne mit dem weißen Kreuz vom Himmel und das Blatt wendete sich“, erzählt der geschichtsbewanderte Däne. Gut, dass 800 Jahre später friedlich zusammen gekocht wird.

Marie-Ghislaine hat sich unterdessen mit den Zwiebeln beschäftigt. „Seht ihr, ich musste dabei nicht weinen. Kennt ihr den Trick?“ fragt sie. „Einen Schluck Wasser in den Mund nehmen!“ Während sie die Zwiebeln brät, erzählt sie von ihrer Heimat. „Bei uns muss das Kochen schnell gehen, damit Zeit für anderes bleibt.“ In ihrer Familie, die es nach dem Zweiten Weltkrieg vom Norden Frankreichs nach Bordeaux verschlagen hatte, durften Lebensmittel nicht viel kosten. „Heute machen wir es ebenso. Wenn ich etwas Gutes günstig sehe, greife ich zu.“ Viel Zeit zum Kochen nimmt sie sich gewöhnlich nicht; lieber liest sie oder arbeitet an ihren wissenschaftlichen Studien und Übersetzungen. Die Zwiebeln müssen raus aus dem Topf, die Hähnchenschenkel rein. Sie sollen schön braun brutzeln und schmoren dann zusammen mit den Zwiebeln, Pfeffer und Salz. „So, eine Dreiviertelstunde Ruhe. Typisch französisch“, sagt sie zufrieden und beginnt, ihre Töpfe abzuspülen.

Niels Henrik hat die Gurke geschnitten und die Avocados geschält. Gekonnt schneidet er dünne Zitronenscheiben ein und dreht sie einmal um sich selbst – eine Deko, die bei seinem dänischen Klassiker nicht fehlen darf. „Eigentlich gibt es neben Mandelreis, Schweinebraten, Smørrebrød und Roter Grütze kaum typisch dänische Gerichte“, überlegen die Eheleute. Sie lernten sich übrigens in Tunis kennen und sprachen miteinander deutsch, bis sie nach Dänemark zogen. Seit eineinhalb Jahren leben sie in Schleswig: „Die deutsch-dänische Geschichte dieser Region ist so spannend“, finden sie. Fast aufs Stichwort klingelt das Telefon – ein dienstlicher Anruf. Marie-Ghislaine übernimmt sofort die Küchenarbeit und zaubert nach Gefühl das Dressing aus einem Eigelb, Öl, etwas Senf sowie Pfeffer und Salz. Schon schnurrt der Mixer vor sich hin, und eine cremige Mayonnaise entsteht.

Ingrid dünstet für das Dessert die Äpfel. „In Estland ist alles beeinflusst von der russischen, skandinavischen und deutschen Küche“, sagt sie. Sie hätte gern eine Nachspeise aus Kamamehl gemacht, einer Mischung aus Getreide und Erbsen. „Aber das gibt es in Deutschland nicht zu kaufen“, bedauert sie. Trotzdem hat sie eine Packung mitgebracht, aus der es würzig und nussig duftet. Ihre Grießspeise „Mannavaht“ sei sehr beliebt, erzählt sie, weil sie sich praktisch mit allen Beeren zubereiten lasse. „Das war wichtig in meiner Kindheit, wir hatten im Sommer viel Obst. Alles wurde gepflückt und verarbeitet.“ Ingrid achtet jetzt genau auf die Menge an Grieß, die sie zu den Äpfeln streut. Dann muss die Speise abkühlen, bevor sie schaumig geschlagen werden kann, und zwar zehn Minuten lang.

Marie-Ghislaine hat für das Hauptgericht Reis aufgesetzt, Niels Henrik mahlt mit der Mühle noch Pfeffer über die Garnelen und die Mayonnaise. „Wir haben noch Zeit, den Danebrog zu hissen“, meint er. Die Flagge, die er aus der Kammer holt, ist riesig. „Sie muss vor Sonnenuntergang eingeholt werden und darf nie auf dem Boden liegen“, erklärt Niels Henrik. Es ist richtig feierlich, als die Estin Ingrid die Flagge hält und der Däne sie am hohen Mast vor dem Pastorat einhakt. Dann flattert der Danebrog im Wind – vor einem friedlichen und unterhaltsamen Essen.

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