Essen gut, alles gut
An der Schnittstelle von Süd- zu Zentralasien grenzen ihre Heimatländer aneinander. In Hannover trennen sie keine Grenzen mehr. Vielmehr fühlen sich Zari, Sofia und Nadja beim gemeinsamen Kochen in nachbarschaftlicher Verbundenheit geborgen.
Foto(s): Henrik Matzen
Zari Gachizadeh
1990 floh sie mit ihrer Familie aus dem Iran nach Deutschland. In Hannover hat Zari Fuß gefasst und kümmert sich hier täglich um ihre Mutter und ihren Ehemann, die ihrer Pflege bedürfen. Die drei Kinder, eine Tochter und zwei Söhne, sind inzwischen aus dem Haus. Zari hat viel Freude am Zusammenkommen im Nachbarschaftstreff, wo Frauen, die oft ein ähnliches Schicksal haben, zusammen kochen. Sie könne großartig backen, versichern ihre Mitstreiterinnen. „Im Internet finde ich Ideen für gute Kuchen. Am liebsten backe ich Apfelkuchen mit Nüssen und ein gesundes Brot.“
Sofia Ahmadyar
In Kabul aufgewachsen, arbeitete Sofia bei der Telekommunikation, als sie 1990 mit den Eltern und sieben Geschwistern die Heimat Afghanistan verlassen musste. In Hannover ging sie ins Hotelfach und gründete außerdem den Kochkurs im Nachbarschaftstreff. Sie kümmert sich viel um ihre Familie. Bei Festen kommen schon mal 45 Personen zusammen. „Wenn dann das Essen stimmt, stimmt alles“, erzählt sie. Sofia liebt die afghanische Küche mit vielen Gewürzen und frischen Zutaten. Auf dem Frischepfad sind auch ihre beiden Brüder: Sie betreiben in Hannovers Markthalle eine Vitaminbar.
Nadja Wenig
Ihre Mutter ist Russin, und ihr Vater, ein Tadschike, wurde als Armeeoffizier viel versetzt. So wurde Nadja in Kirgisien geboren, lebte in Usbekistan und in Tadschikistan. Beim Studium in Moskau lernte sie ihren deutschen Mann kennen. In Hannover wurde sie die rechte Hand eines Anwalts, mit dem sie durch Russland reiste und beim Aufbau von Firmen half. Im Nachbarschaftstreff tauscht sie sich mit Freundinnen aus, übt sich im Bauchtanz und hält sich beim Nordic Working fit. Nadja will gesund leben und bekennt sich zur vegetarischen Ernährung. Sie lacht: „Kochen sehe ich auch als Pflicht an.“

Roz ba khair“, „Guten Tag“, „ Salam“, „Hallo“: In vielen Sprachen schallt es fröhlich durch den großen Raum. Gleich wird es hier turbulent zugehen, wenn sich die zwölf Frauen, die nach und nach im Nachbarschaftstreff List-Nordost in Hannover eintreffen, aus ihren Mänteln geschält haben. Heute ist Kochtag. Er findet zweimal im Monat statt. In eine Nische eingebaut, glänzen die rot lackierten Fronten der Küchenschränke. Hier fehlt es an nichts. Von der Kaffeemaschine bis hin zum Kühlschrank, vom Geschirr bis zu den Kochtöpfen ist die Auswahl groß. Jedes Mal kochen drei Frauen, die immer beim letzten Treff ganz demokratisch bestimmt werden. Doch die Frauen aus aller Herren Länder wollen nicht nur testen und probieren, was Sofia, Zari und Nadja heute auf den Tisch bringen. Sie wollen auch helfen, um Berge von Zwiebeln zu schälen, Äpfel zu zerkleinern, Nüsse zu hacken oder Teigtaschen zu füllen. „Gemeinames Kochen verbindet“, erklärt Sofia, die den Kochkurs 2014 ins Leben gerufen hat. „Bei uns geht es über das gemeinsame Kochen hinaus.

Wir sprechen viel über die Heimat, über unsere Familienangelegenheiten, über Probleme, die so manchen bewegen. Und wir versuchen, uns gegenseitig zu helfen.“ Sofia rückt mit ihrer Profireibe nun erst einmal den gepellten Zwiebeln zu Leibe. „Sie müssen fein gerieben werden, damit sie sich mit dem Hackfleisch gut vermählen können“, erklärt die Frau aus Afghanistan lachend und wischt sich die Tränen aus den Augen, die die vielen Zwiebeln verursachen. Sie hat sich für das Gericht Mantu entschieden, mit Rinderhack gefüllte Teigtaschen, die in einem Spezialtopf gedämpft werden. Ob Pelmeni, Pirogge, Dim Sum, Maultasche, Tortelloni oder Ravioli: „Die Sache mit den Teigtaschen ist ein Phänomen“, sinniert Sofia, „sowohl bei den Japanern im Osten als auch bei den Schwaben im Westen, bei den Österreichern oder Italienern gehören sie zum festen Bestandteil einer jeden Küche, wenn auch immer in anderen Variationen.“

In Afghanistan werden die Mantus auf einem Spiegel aus Joghurt und Quark gelegt und mit einer Soße übergossen, die aus Tomaten, Möhren und Kichererbsen besteht und mit Kurkuma gewürzt ist. „Den Teig für die Mantus habe ich schon zu Hause vorbereitet. Er muss zwei Stunden gehen, das nimmt uns hier zu viel Zeit weg“, erklärt Sofia und schiebt ihn durch die Nudelmaschine. Während Sofias theoretischen Ausflügen in die Geschichte der Teigtaschen hat sich Zari ihrem Kuku Sabzi, dem persischen Kräuteromelett, gewidmet. Berge von Dill, Petersilie, Schnittlauch und Koriander hat auch sie schon zu Hause gehackt. Jetzt brät sie die Kräuter in der Pfanne an, rührt die Eiermasse an und fügt die Berberitzen und gehackten Walnüsse hinzu. Bei hoher Temperatur erhitzt sie das Öl, bevor sie das Eiergemisch in die Pfanne gibt. „Das Omelett ist ein wichtiges Essen an Nowrooz, dem persischen Neujahrsfest“, erklärt sie ihren Kochschwestern, die sich am Herd versammelt haben. „Die Kräuter symbolisieren Wiedergeburt, die Eier symbolisieren Fruchtbarkeit.“ Sie erklärt: „Kuku Sabzi kann man gut verändern. Falls jemand keinen Koriander mag, nimmt er zum Beispiel stattdessen Spinat.“ Nadja hat den Herd in Beschlag genommen.

Sie dämpft ihr Apfel-Zucker- Gemisch im Topf. „Achtung“, ruft sie, „der Deckel darf nicht angehoben werden.“ Am großen Tisch füllen derweil fleißige Hände die Teigblätter mit dem Hackfleisch und drehen sie geschickt zu Taschen auf. Zum Schluss liegen 150 Stück auf den bereitgestellten Tabletts. Sorgsam werden sie auf die Siebe im vierstöckigen Dampftopf verteilt, den Sofia in einem russischen Laden gekauft hat. Ab damit auf den Herd, wo die Mantus nun 45 Minuten vor sich hin dampfen. „Die werden süchtig machen“, prophezeit sie. Ein Hauch von Orient schwebt in der Luft, es duftet nach Kurkuma, Knoblauch und würzigen Kräutern. Es wird höchste Zeit, den Tisch zu decken, damit der erste Gang serviert werden kann. „Nushe jun“, sagt Zari, was auf Persisch „Guten Appetit“ heißt. Das lässt die Gruppe sich nicht zweimal sagen. Beim Kuku Sabzi greifen alle kräftig zu. Ob da noch der Appetit für Sofias köstliche Mantus und Nadjas Apfeldessert reicht?

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